Warum Lenze einen datenzentrierten Ansatz fährt

Hameln, 01. Februar 2024. Kennen Sie Andrew Ng, fragt Lenze CEO Christian Wendler seine Gäste bei der Ankunft. „Nein? Sollten Sie aber, unbedingt.“ Wendler unterbricht die Google-Suche: „Ng gehört zu den wichtigsten KI-Vordenkern der Gegenwart, Millionen von Menschen weltweit haben seine Lernkurse belegt – auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Lenze. Der US-Amerikaner gründete Google Brain, war Dozent in Stanford und Mitbegründer des weltweit populärsten Machine Learning Kurses auf Coursera.“ Der Mann hat es Wendler eindeutig angetan. Und ausgerechnet dieser Mann aus dem Silicon Valley, der Heimat der großen Datensätze, spricht schon seit längerer Zeit öffentlich von kleineren Datensätzen. Das hat Wendler aufhorchen lassen, denn das ist auch seine Geschichte. Man solle sich auf die Qualität der Daten konzentrieren, um das volle Potenzial der künstlichen Intelligenz auszuschöpfen, und Ng bezeichnet diesen Ansatz als datenzentrierte KI. In der Vergangenheit lag das Hauptaugenmerk vor allem auf der Entwicklung, Verbesserung und Feinabstimmung von Algorithmen. Kann das Silicon Valley am Ende dann doch was von der diskreten Fertigung, von der Industrie lernen, die seit Jahren mit kleinen Datensätzen operieren muss? Vielleicht, aber viel erstaunlicher ist: Die Silicon Valley-Firmen entdecken damit die Industrie für sich und die vielen Use Cases in den Fabrikhallen. Das erfreut die europäischen Unternehmen, es kommen aber auch neue Wettbewerber auf den Markt – inklusive dem branchenspezifischen Anwendungswissen.

„Ng gründete eine eigene Firma nur dafür“, erklärt der Vorstandsvorsitzende des deutschen Automatisierungsspezialisten Lenze. Das hat ihn aufgerüttelt. Der Unternehmer weiß, in der Industrie fallen weniger Daten an und die sind meist auch unausgewogen. Dazu kommt, die Daten in der Industrie erfordern Domänenwissen um den Produktionsprozess. Das bedeutet, Unternehmen brauchen Expertise beim Labeln der Daten. Gleichzeitig fordern Ingenieure eine Erklärbarkeit ihrer Modelle. Wendler weiß um die Ambitionen der Amerikaner. Er setzt wie Ng und seine Kolleginnen und Kollegen auf einen datenzentrierten Ansatz mit kleinen Datensätzen, die dann zu smarten Daten gemacht werden. „Bei einem Big-Data-Ansatz sucht der Anwender Korrelationen und Muster. Ein Beispiel ist die Verkehrsplanung. Eine Maschine oder Anlage ist eine völlig andere Anwendung. Dank unseres Prozesswissens kann ich Suchpattern vorgeben, um Anomalien zu erkennen. Ich extrahiere gezielt nur die ´richtigen´ Daten und werte diese mit meinem Wissen aus“, fasst es Wendler zusammen. Er ist stolz auf sein Team. Seine Ingenieurinnen und Ingenieure setzen dabei auf den digitalen Zwilling. „Die Daten aus meiner Maschine fließen in den Digitalen Zwilling ein – das ist sozusagen der Datenpool. Aus diesem fische ich nur die Daten heraus, die ich für meine Anwendung wirklich brauche. Das sind meine Small Data. Und mit meinem Domänenwissen verwandle ich meine Small Data in Smart Data“, ergänzt Wendler. Ihm ist wichtig: „Wir brauchen nicht immer tiefe neuronale Netze, wir können auch schon im digitalen Zwilling schnell erkennen, was wie funktioniert und wo Optimierungspotenzial schlummert.“

OEE-Optimierung bringt 45 Mrd. Euro

Die Automatisierungsexperten haben zusammen mit ihren Kunden vier Smart-Data-Ansätze identifiziert. „Wenn Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland eine neue Maschine planen, gehen sie auf Nummer sicher. German Engineering ist schließlich seit jeher ein Gütesiegel für top Qualität, und Zuverlässigkeit. Noch heute ist es so, dass viele Ingenieure die Anforderungen überdimensionieren, weil sie sicherstellen wollen, dass das System die

geforderte Leistung übererfüllt“, berichtet Wendler. Fachleute sprechen vom Syndrom des kaskadierten Puffers. Dieser führt zu unnötiger Verschwendung. „Im digitalen Zwilling der Maschinen können wir die exakte, leistungsgerechte Auslegung testen“, ist Wendler begeistert. Das spart Energie, Material, Gewicht und Transportkosten. Der CEO rechnet vor: „Wenn wir die Daten im Zwilling und unseren Smart-Data-Ansatz auch nur für 25 Prozent der weltweit 50 Millionen Elektromotoren, also 12,5 Mio. Motoren nutzen, sparen wir im Betrieb rund 500 Mio. Euro an Stromkosten pro Jahr und über 2 Mrd. Euro an Herstellungskosten.“ Wendler ist jetzt in seinem Element. Er nimmt ein braunes Paket in die Hand. „Im E-Commerce Lager können wir enorm viel Energie einsparen“, verspricht er. Viele Fördertechnikbänder laufen täglich 20 Stunden mit voller Leistung. „Wir müssen uns aber die Auslastungsdaten genau anschauen und dann fällt auf: Der Kunde braucht die Höchstlast nur eine Stunde am Tag.“ Der Elektroingenieur nimmt einen Block und rechnet. „Mit dem digitalen Zwilling und damit intelligenter lastoptimierter Bewegungssteuerung und effizienten Motoren der neuesten Generation kann ich ein beeindruckendes Ergebnis erzielen: Der Energieverbrauch einer typischen E-Commerce-Anlage mit 800 Motoren auf 13.000 Paketzentren weltweit hochgerechnet spart 31 TWh. Das entspricht dem CO2-Ausstoß von rund vier Mio. Mittelklassewagen. Wir gehen davon aus, dass ein solches Vorgehen bei allen Produktionsmaschinen und Förderanlagen eine Energieersparnis von bis zu 50 Prozent ermöglichen würde.“ Er unterstreicht die 50 Prozent mit zwei Strichen. „Das sind Werte. Wir nutzen Daten, um dann echte Mehrwerte zu schaffen“, ist Wendler stolz. Und dann nimmt er eine große Zahl in den Mund: „Die OEE dümpelt weltweit bei 60 Prozent. Wir haben ein Verbesserungspotenzial von 45 Mrd. Euro errechnet. Das sagt auch Deloitte. 45 Milliarden“, er spricht die Zahl langsam aus. Die Annahme: In 36 Monaten haben weltweit 82 % der Anlagenbetreiber mindestens einen ungeplanten Maschinenstillstand, die meisten zwei oder mehr. Viele Anlagen werden immer noch nach dem Prinzip “run-to-fail” gewartet, das heißt, Maschinenteile werden erst getauscht, wenn etwas kaputt geht. Und: Im Schnitt stehen Produktionsanlagen bei jedem Hersteller 800 Std. pro Jahr still. Automobilhersteller veranschlagen pro Minute Ausfallzeit um die 20.000 Euro Umsatzeinbuße. „Und jetzt kommen wir mit unseren Machine Learning-Modellen ins Spiel. Dank Predictive Maintenance, trainiert auf einem kleinen Datensatz, weiß ich, wann mein Zahnriemen reißt und der Kunde kann frühzeitig bestellen und das Teil wechseln.“

Aber hat er die ganzen Kompetenzen im Haus? Ng und seine Kolleginnen und Kollegen machen nichts anderes außer KI-Modelle zu trainieren. „Ja, die haben auch wir und die kennen auch noch die Anlage des Kunden und arbeiten mit dem digitalen Zwilling der Anlage. Wir können Design-Aufwand und JBN-Zeit reduzieren. Wir tauschen Modelle, können sie schnell an andere Kundenanlagen adaptieren und sparen Geld, Zeit, Energie und Ressourcen.“ Und Ng? Den würde er gerne mal treffen und ihm unseren Mechatronik-Competence Campus zeigen. Da kann sein Team Domänenwissen aufsaugen, scherzt Wendler. „Die Einladung steht.“

 

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